
International Insights into Diamond Open Access
Wie kann Diamond Open Access weltweit gestärkt werden? Drei Expert*innen aus Argentinien, Großbritannien und Frankreich beleuchteten Herausforderungen, Strategien und Infrastrukturen für eine nachhaltigere Publikationslandschaft ohne Publikations- oder Subskriptionskosten.
Wie kann Diamond Open Access weltweit gestärkt werden? Drei Expert*innen aus Argentinien, Großbritannien und Frankreich beleuchteten Herausforderungen, Strategien und Infrastrukturen für eine nachhaltigere Publikationslandschaft ohne Publikations- oder Subskriptionskosten.
Diamond Open Access in Lateinamerika: Herausforderungen und Perspektiven
Als erstes präsentierte Fernanda Beigel ihre Aktivitäten und Erfahrungen in der lateinamerikanischen Open Science Community. Sie forscht am Nationalen Rat für Wissenschaftliche und Technische Forschung CONICET, Argentinien, und ist Direktorin des Forschungszentrums für die Zirkulation von Wissen (CECIC, mit Sitz an der Nationalen Universität Cuyo, Argentinien). Sie beteiligt sich zudem an internationalen Projekten und Initiativen, beispielsweise an der Ausarbeitung der Empfehlung für Open Science der UNESCO, die laut Fernanda Beigel ein besonderes Augenmerk auf die Werte „Openness“ und „Inclusiveness“ legt.
Fernanda Beigel betonte die Stellung von Open Access als am weitesten fortgeschrittenen Aspekt des Open-Science-Gedankens. Allerdings müsse als strukturelles Problem festgestellt werden, dass sich Open Access von Beginn an in einem bereits kommerziell ausgerichteten und organisierten Publikationssystem bewege und deshalb der Open-Science-Gedanke nur schwer vollständig umgesetzt werden könne. So seien ganz konkret in Argentinien vermehrt unerfreuliche Tendenzen zurück zu Closed Access zu beobachten. Der Grund hierfür liegt in den teuren Publikationsgebühren (APCs), die für die Veröffentlichung in kommerziellen Zeitschriften anfallen. Viele Angehörige finanzschwächerer Institutionen können sich diese nicht leisten, weshalb sie sich gezwungen sehen, im Closed Access in Zeitschriften mit Subskriptionsgebühren zu publizieren. Auch weitere bekannte Faktoren wie das Renommee von Zeitschriften würden bei dieser Entwicklung eine Rolle spielen. Daher seien Closed- Access-Publikationsorgane inzwischen wieder eine zunehmend attraktive Option.
Aus diesem Grund ist eine vermehrte Anstrengung für Open-Access-Publikationsmodelle ohne Publikationsgebühren (Diamond Open Access, DOA) erstrebenswert. Für einen Überblick über weltweit bestehende DOA-Strukturen, hat Fernanda Beigel die Anzahl von DOA-Zeitschriften je Land erfasst und kartographiert. Hierfür nutzte sie die Daten sowohl globaler (z. B. DOAJ) als auch lokaler Verzeichnisse (z. B. OLIVA). Auffällig ist das Vorhandensein einzelner ‚DOA-Inseln‘, beispielsweise in Indonesien, Polen oder im gesamten lateinamerikanischen Raum. Insbesondere Lateinamerika, wo es historisch viele DOA-Initiativen gibt, verfügt außerdem über eine große Anzahl an Verzeichnissen und Indizes zur Erfassung von DOA-Strukturen. Beispielhaft stellte Fernanda Beigel den „latindex“ vor, der bereits seit 1994 Publikationen verzeichnet und heute das größte DOA-Verzeichnis der Region darstellt.
Diese lokale Konzentration der DOA-Infrastrukturen ist aus Fernanda Beigels Sicht problematisch. Sie diagnostiziert eine zu starke Fragmentierung und - damit verbunden - fehlende Koordinierung für ein offenes und inklusives Publikationssystem, sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. Gefragt nach ihrer Vision für die DOA-Bewegung fordert sie ein grundlegendes Umdenken im wissenschaftlichen Publikationswesen, das eine Neuausrichtung der Bewertung von Forschung ermöglicht. Zudem sieht Frau Beigel eine sich zunehmend entwickelnde Krise des veralteten, auf Closed Access und der Hegemonie großer Verlage basierenden Publikationssystems. Steigende finanzielle Probleme im Wissenschaftsbetrieb würden durch die kommerziellen Verlagsstrukturen verschärft und sorgten für eine angespannte Situation. Speziell im Fall von Argentinien bestehe in Hinblick auf die finanzielle Situation eine große Unsicherheit (um nicht gar von einer bestehenden Dystopie zu sprechen), da den bisher autonom agierenden Universitäten aufgrund politischer Entwicklungen jegliche staatliche Förderung gestrichen wurde. Dennoch, so Fernanda Beigels Hoffnung, könnte die sich abzeichnende Krisensituation als Chance genutzt werden, um ein neues, besser funktionierendes System aufzubauen und zu etablieren.
Die Open Library of Humanities: Ein Modell für nachhaltiges Publizieren
Im Anschluss sprach Caroline Edwards, Executive Director der Open Library of Humanities (OLH) und Senior Lecturer für zeitgenössische Literatur und Kultur an der Birkbeck University of London über ihre Erfahrungen mit internationalem DOA. Die OLH ist eine DOA-Publikationsplattform mit Fokus auf die Geisteswissenschaften und wurde 2013 gegründet. Insgesamt gibt die OLH aktuell 33 DOA-Zeitschriften heraus, wofür eine eigens entwickelte Software (Janeway) genutzt wird. Viele der stetig neu hinzukommenden Zeitschriften, die sich dazu entschließen, zukünftig non-for-profit und community-led zu agieren, lösen sich von großen kommerziellen Verlagen (insbesondere Wiley). Finanziert wird die OLH über ein Mitgliedschaftsmodell, wobei die Beitragenden überwiegend nordamerikanische und europäische Einrichtungen sind. Die Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen decken die Ausgaben des Herausgabebetriebs ab, von denen der weitaus größte Teil (ca. 75%) auf Personalkosten (aktuell 10 Mitarbeitende) entfällt. Außerdem erzielt die OLH einen geringen Betrag an Einnahmen durch die kostenpflichtige Bereitstellung der Janeway-Software an andere Publisher.
In ihrer Bemühung, Zeitschriften bei der Transformation auf ein Diamond-Open-Access-Modell zu unterstützen, stößt die OLH auf einige Herausforderungen. Die erfreulich hohe Nachfrage an umstiegswilligen Zeitschriften stößt seitens der OLH auf begrenzte Kapazitäten. Außerdem kommt es im Zuge der Umstellungen oft zu Problemen und Herausforderungen in Bezug auf die Migration der alten, kommerziell herausgegebenen Ausgaben. Zudem muss oft Überzeugungsarbeit bei der bisherigen Redaktion geleistet werden, um diese zu bewegen, ihre Arbeit auch unter der neuen Erscheinungsform der Zeitschrift fortzusetzen. Die Umstellung einer Zeitschrift auf ein Non-Profit-Modell geht des Weiteren oft mit einer Umbenennung einher, da die Namensrechte oft bei den kommerziellen Verlagen liegen. Trotz dieser Hindernisse gelang es in den vergangenen zwölf Monaten, zehn Zeitschriften auf ein Diamond-Open-Access-Modell umzustellen.
Bezüglich der Entwicklung von DOA in Großbritannien im Allgemeinen sieht Caroline Edwards ein großes Engagement innerhalb der wissenschaftlichen Community, deren Energie genutzt werden kann, um einen Wandel im Publikationssystem anzuregen. Vor dem Hintergrund der wachsenden finanziellen Krise des gesamten Wissenschaftssystems mit sinkenden staatlichen Fördersummen ist sie optimistisch, dass immer mehr Akteure des Publikationssystems die Vorteile von Diamond-Open-Access- Modellen sehen.
Europäische Infrastruktur für Diamond OA: Die Rolle von DIAMAS und EDCH
Zum Abschluss der Veranstaltung gab Pierre Mounier von der École des Hautes Études en Sciences Sociales (Paris) Einblicke in seine Arbeit im Bereich wissenschaftlicher Infrastrukturen. Als stellvertretender Direktor von OpenEdition, Co-Koordinator von OPERAS, Co-Direktor des DOAB und Mit-Hauptverantwortlicher (Co-PI) des DIAMAS-Projekts stellte er zwei zentrale Initiativen vor, an denen er maßgeblich beteiligt ist: DIAMAS und den European Diamond Capacity Hub (EDCH).
Das DIAMAS-Projekt, gestartet im Jahr 2022, untersucht die institutionellen und politischen Rahmenbedingungen für Diamond Open Access in Europa. Ziel ist die Diagnose und Analyse bestehender Diamond-Infrastrukturen, die Weiterentwicklung entsprechender Services sowie die Formulierung von Standards, Richtlinien und Empfehlungen für (politische) Entscheidungsträger*innen zur Förderung von Diamond Open Access. Ein internationales Konsortium aus 23 wissenschaftlichen Einrichtungen und Infrastrukturanbietern führt diese Untersuchung durch.
Ein zentraler Begriff in diesem Kontext sind die „Institutional Publication Service Providers“ (IPSP), unter denen Publikationsinfrastrukturen für Diamond Open Access zusammengefasst werden. Dabei handelt es sich um insgesamt 685 institutionelle Publikationsdienste, die im Rahmen von DIAMAS analysiert wurden. IPSPs umfassen zwei Kategorien: Institutional Publishers (IPs), die eine rechtliche, ethische oder wissenschaftliche Verantwortung für das akademische Publizieren tragen, und Service Providers (SPs), die spezifische Teilaufgaben im Publikationsprozess übernehmen. Diese beiden Typen können in einer einzigen IPSP-Einrichtung zusammengeführt sein. Während sich andere Projekte, wie etwa CRAFT-OA, primär auf technische Lösungen konzentrieren, betrachtet DIAMAS Infrastrukturen in einem umfassenderen Sinne. Dazu zählen neben technischen Services auch die organisatorischen Rahmenbedingungen der IPSPs, etwa ihre Vernetzung oder die Bereitstellung von Best Practices.
Auf der Arbeit des DIAMAS-Projekts aufbauend ist der European Diamond Capacity Hub (EDCH) entstanden. Dieser legt den Fokus vorrangig auf die Vernetzung der IPSPs. Der Hub soll eine Infrastruktur bieten, damit IPSPs ihre Erfahrungen und Anstrengungen im Bereich des DOA miteinander teilen und koordinieren können. Ziel ist es, die Community zu stärken, Synergien zu erkennen und bestehende Kapazitäten besser zu nutzen. Operativ wurden dafür sechs Taskforces gegründet, die sich auf Unterthemen wie technische Lösungen, Staff-Trainingsprogramme oder Finanzierung spezialisieren. Außerdem werden verschiedene Sevices entwickelt, die die (Zusammen-)Arbeit im DOA-Bereich erleichtern sollen. Hierzu zählt beispielsweise die Entwicklung eines DOA-Standards, der bei der Evaluation einzelner Journals helfen soll, oder ein Diamond Discovery Hub, d. h. eine Liste von DOA-Organisationen und Journals.
Pierre Mounier gab anschließend einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der politischen Entwicklung im Bereich Open Access in Frankreich. Aufgrund einer bislang für Open Science aufgeschlossenen Politik gibt es gute Voraussetzungen, umfangreiche Strukturen und hohe Qualitätsstandards bei französischen DOA-Journals (z. B. DOIs). Allerdings scheint sich ein politischer Umschwung anzudeuten, was insbesondere deshalb für eine prekäre Lage sorgte, weil die französischen IPSPs besonders stark in den öffentlichen Sektor integriert und in Sachen finanzieller Förderung stark von diesem abhängig sind. Auch in Frankreich besteht also eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Zukunft von DOA-Projekten und -Initiativen.
Politische Unsicherheiten und die Zukunft von Diamond OA
Schließlich weitete Pierre Mounier den Blick auf die globale Perspektive. Als eine der größten Herausforderungen identifizierte er die starke Fragmentierung der Anstrengungen für DOA. Nur wenn die globale DOA-Gemeinschaft koordiniert und strategisch agiere, habe sie eine Chance, sich gegen die kommerziell ausgerichteten Giganten wie Springer und Elsevier zu behaupten. Um der globalen und lokalen Fragmentierung entgegenzuwirken, spielen Projekte wie das EDCH, die die Vernetzung in den Mittelpunkt stellen, eine wichtige Rolle. Des Weiteren stellen bestimmte Wertvorstellungen oder fruchtlose Streitigkeiten um Begrifflichkeiten (wie die Diskussion um die ‚richtige‘ Definition von DOA) einer Zusammenarbeit oft unnötig im Weg. Anstatt sich in solchen nahezu irrelevanten Detailfragen zu verlieren, sollten das vorhandene Engagement und die Energie gebündelt werden, um die Zusammenarbeit in der Praxis zu stärken und auf diese Weise den großen und übergeordneten Zielen näherzukommen.
In der anschließenden Diskussion wurde der auffallende Umstand, dass die Arbeit aller drei Vortragenden durch die jeweils unsicheren politischen Umstände erheblich gefährdet ist, aufgegriffen. Die Abhängigkeit von politischen Entwicklungen stellte sich dabei als unvermeidlicher Unsicherheitsfaktor heraus, da auch die vermeintliche Alternative zur öffentlichen Trägerschaft – nämlich kommerzielle Finanzierungsquellen – letztlich nicht gänzlich losgelöst von politischen Entscheidungen agieren kann.
Dieser Beitrag ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (CC BY 4.0).

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