
Eine Politik für Open-Access-Bücher beginnt in der Einrichtung
Eine smarte Förderpolitik für OA-Bücher soll zu mehr Open Access in den SSH führen. Wir haben gefragt: wer darf dabei nicht fehlen und wo brennt es am meisten?
Politikmaßnahmen zur Förderung von Open-Access-Büchern

Vergleicht man Umsetzungsstand der Open-Access-Transformation im Zeitschriftensektor mit der Lage auf dem Buchmarkt, drängt sich einem der Eindruck auf, dass Bücher in der Open-Access-Transformation bisher eher am Rande behandelt wurden (Shaw & Phillips et al., 2021). Hierfür gibt es viele Gründe. Der in Deutschland sehr kleinteilige Verlagsmarkt macht eine Transformation durch Konsortialverträge kompliziert und auf der Ebene der EU existieren verschiedene Umsetzungsstände und Rahmenbedingungen. Die Diskussion und Durchsetzung von Maßnahmen sowohl auf der nationalen als auch auf der europäischen Ebene gilt deswegen als sehr herausfordernd (Laakso & Bandura-Morgan et al., 2024). Das Projekt PALOMERA (Policy Alignment of Open Access Monographs in the European Research Area) hat sich der Aufgabe angenommen, diese Rahmenbedingungen zu beschreiben und darauf aufbauend Empfehlungen für Politikmaßnahmen zur Förderung von Open-Access-Büchern zu erarbeiten. Dies geschieht – wie in anderen Policy-Forschungsprojekten auch – auf der Basis von Daten, die typischerweise durch Desktopresearch, in Workshops oder in Umfragen erhoben werden.
Die PALOMERA Umfrage zu Open-Access-Büchern
Vor diesem Hintergrund führten die Mitarbeitenden von PALOMERA eine europaweite Online-Umfrage zur Open-Access-Politik für Bücher durch. Sie zielte darauf ab, Einstellungen zur Politik für Open-Access-Bücher, zu anderen Stakeholdern sowie Bedarfe und Herausforderungen der Transformation zu ermitteln. Auch der Wissensstand über Open-Access-Politiken im Allgemeinen und die Beurteilung einzelner Politikmaßnahmen im Besonderen wurde erfragt. Die Einladung zur Umfrage wurde über Mailinglisten, Social-Media und Direktkontakte in 39 Ländern verbreitet. 420 Personen aus 30 Ländern haben teilgenommen. Für die Auswertung im Ländervergleich wurden nur Länder berücksichtigt, aus denen mindestens 30 vollständige Rückläufe vorlagen. Die Respondenten konnten sich außerdem den Stakeholdergruppen Forschungsförderungsorganisationen (RFOs), Universitäten (und andere Forschungsorganisationen, kurz. RPOs), Verlage, Bibliotheken, Infrastrukturanbieter, politische Entscheidungsträger oder Fachgesellschaften zuordnen, was zusätzlich eine stakeholderspezifische Analyse ermöglichte. In Hinblick auf die Gestaltung der Förderpolitik hierzulande und darüber hinaus sind besonders die Ergebnisse zu den Themen politisches Engagement und Stakeholderkooperation interessant.
Unsere nationale Open-Access-Politik: es gibt sie, es gibt sie nicht, es gibt sie…
Aufgrund der föderalen Struktur gibt es in Deutschland eine große Anzahl von politischen Dokumenten: Richtlinien auf der Ebene der Bundesländer, Stellungnahmen von Forschungsförderungsorganisationen, Papiere von Ministerien und vieles mehr (vgl. Bärwolff & Benz, 2023). 27 % der Befragten scheinen eine dieser vorhandenen Strategien als nationale Politik zu betrachten, während 47 % der Befragten davon überzeugt sind, dass es in Deutschland keine nationale Open-Access-Politik gibt (Abbildung 1). Mit 26 % gibt sogar ein gutes Viertel der Befragten an, nicht zu wissen, ob eine nationale politische Strategie existiert oder nicht. Angesichts der unklaren Situation in Deutschland ist diese Aussage vermutlich nicht nur auf die Unkenntnis der Befragten zurückzuführen: Das Antwortverhalten der größtenteils professionell mit Open Access befassten Respondenten spiegelt vielleicht einfach die faktisch uneindeutige politische Situation in Deutschland korrekt wider.

Dementsprechend besteht auch eine größere Unentschlossenheit hinsichtlich der Existenz einer Strategie für Open-Access-Bücher als in anderen Ländern. In Deutschland gaben die meisten Befragten an, sie wüssten nicht, ob eine solche Strategie existiert (67 %). In zentralistisch regierten Ländern sind sich die Befragten der Existenz und Verbreitung ihrer Open-Access-Politik dagegen weitaus stärker bewusst, wie ein Blick auf die Zahlen aus Frankreich beweist. Der Föderalismus birgt also besondere Herausforderungen für die Kommunikation der Wissenschaftspolitik.
Doch warum ist das wichtig? Nun, das Wissen um die Existenz einer nationalen Politik ist die Voraussetzung für ein entsprechendes Engagement. Tatsächlich ist das Interesse an der Gestaltung einer nationalen Open-Access-Politik in Deutschland bemerkenswert gering (s. Abb. 2). Hier weisen die Daten übrigens eine weitere interessante Korrelation auf: das Interesse am nationalen Engagement scheint in einem Zusammenhang mit dem Interesse an der Open-Access-Politik auf der institutionellen Ebene zu stehen. In Ländern mit einem hohen Maß an Wissen über nationale Strategieprozesse ist auch ein höheres Beteiligungsinteresse auf der institutionellen Ebene messbar.

Politikgestaltung darf demnach nicht nur als nationalstaatlicher Prozess gedacht werden. Hinzu kommt, dass alle Befragten ein höheres Beteiligungsinteresse an Prozessen in ihrer Institution hatten – vielleicht auch, weil sich die Befragten meistens besser auf der institutionellen Ebene auskennen. So geben, wie oben zu sehen, 49% aller Befragten an, die relevanten Stakeholder auf nationaler Ebene benennen zu können, 67% dagegen geben an, die relevanten Stakeholder auf der institutionellen Ebene zu kennen. Wer zum Zwecke der Open-Access-Politikgestaltung besonders engagierte Mitstreiter*innen braucht, sollte sich also auf die Ebene der Institution oder Einrichtung begeben.
Stakeholder und die Sonderrolle der Verlage
Politische Prozesse sind partizipative Prozesse. Konkrete inhaltliche Weichenstellungen können bereits dadurch vorgenommen werden, dass bestimmte Interessengruppen ausgeschlossen und andere zugelassen werden. Daher haben wir gefragt, wer an einem politischen Prozess für Open Access Bücher in Zukunft beteiligt werden sollte und welche Interessengruppen bereits gut vertreten sind.
Die Mehrheit der Befragten gab an, dass sie sich für die Zukunft einen geringeren politischen Einfluss der internationalen Verlage wünscht. Dieser Befund korrespondiert mit dem häufig geäußerten Wunsch, wissenschaftsgeleiteten Initiativen mehr politischen Einfluss zu geben (Abb.3).

Zusätzlich zum Vergleich der Länder haben wir auch nach Stakeholdern aufgeschlüsselt. Im Allgemeinen sind sie nicht nur der Meinung, dass ihre eigene Gruppe stärker vertreten sein sollte, sondern geben auch an, dass sie sich eine stärkere Präsenz fast aller anderen Gruppen wünschen würden. Die Verlage weisen hierbei allerdings den schwächsten Zuwachs zwischen der geschätzten gegenwärtigen und der erwünschten zukünftigen Bedeutung auf. In Bezug auf die internationalen Verleger wird sogar gewünscht, dass sie in Zukunft eine weniger bedeutsame Rolle in der Open-Access-Politik spielen sollten (Abb.4 und 5). Scholar led Initiativen weisen dagegen die stärkste positive Differenz zwischen der Einschätzung der gegenwärtigen und der erhofften zukünftigen Relevanz auf.

Auch in Bezug auf die Bewertung des Impacts einer Open-Access-Politik spielen die Verlage eine besondere Rolle. Zwar waren Respondenten aus den Verlagen am wenigsten davon überzeugt, dass eine nationale Open Access Politik die Dinge zum Besseren verändern würde, bezeugten aber das größte Interesse, an einer solchen mitzuwirken.

Die Moral von der Geschicht
Im Projekt PALOMERA haben wir durch die Umfrage gelernt, dass viele Stakeholder sich eher auf der institutionellen als auf der nationalen Ebene an der Gestaltung einer Open-Access-Politik für Bücher beteiligen würden. Eine starke Einbindung der Institutionen durch geschickte Partizipationsmechanismen bei gleichzeitiger Verzahnung der institutionellen mit der nationalen Ebene könnte daher ein vielversprechender Ansatz für eine Politikgestaltung sein, die Stakeholder auf allen Ebenen von Anfang an mit miteinbezieht. In einem solchen Bottom-up-Prozess würden die RPOs als Vermittlungsorgan zwischen der Ebene der Wissenschaftler und der nationalen bzw. europäischen Ebene fungieren. Dabei steht besonders der Föderalismus vor schwierigen Herausforderungen, weil sich dort mit den Bundesländern ein weiterer Intermediär zwischen den Stakeholdern und ihren nationalen Interessenvertretern schiebt. Das führt zu einer unübersichtlichen Situation, in der eine klar strukturierte Governance und bündige Kommunikationskonzepte umso wichtiger werden, wie der Vergleich mit den zentralistisch regierten Ländern zeigt. Bibliotheken könnten hier eine tragende Rolle übernehmen. Wenn es irgendetwas in Bezug auf Informationsinfrastrukturen zu entscheiden oder zu diskutieren gibt, könnten sie zu wichtigen Ansprechpartnerinnen werden.
In Bezug auf die Stakeholder unterstreichen unsere Daten den vielerorts vernehmbaren Eindruck, dass eine wachsende Skepsis gegenüber kommerziellen Geschäftsmodellen das Bedürfnis nach wissenschaftsgeleiteten Kommunikationsinfrastrukturen nährt. Die Bereitschaft zur politischen Gestaltung ist aber bei allen Stakeholdern hoch. Hier wünschen sich die Befragten auch eine Beteiligung der national agierenden Verlage, womit vermutlich vor allem die kleineren und mittelständischen Verlage gemeint sein dürften. Dass wir jede helfende Hand gebrauchen können, zeigt ein abschließender Blick auf die Problemzonen der Open Access Transformation für Bücher. Obwohl Open-Access-Bücher mittlerweile eine gute Reputation genießen, geben fast alle Befragten an, dass sie in Puncto Informationspolitik, finanzielle Förderung und technische Infrastrukturen noch viel Verbesserungsbedarf sehen (Abb. 6.) Insofern hat die PALOMERA-Umfrage auch einen appelativen Charakter. Die Aufforderung, eine progressive Politik für Open-Access-Bücher zu machen, geht aber nicht nur an die politischen Entscheidungsträger der EU und des Bundes. Sie sollte – das legen unsere Ergebnisse nahe – besonders in den Einrichtungen ernst genommen werden: an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten, in den Seminaren, Fachverbänden und in den Bibliotheken. An der Basis.

Literaturliste
Bärwolff, Theresa; Benz, Martina; Dreyer, Malte u. a.: Open4DE Landscape Report, 2023. Online:
Dreyer, Malte; Stone, Graham; Tummes, Jan-Philip u. a.: Report on the PALOMERA survey on open access policies for books in the European research area, 30.08.2024. Online: https://doi.org/10.5281/ZENODO.13607260, Stand: 03.12.2024.
Laakso, Mikael; Bandura-Morgan, Laura; Bazeliuk, Nataliia u. a.: PALOMERA Deliverable 3.1 – Report on Analysis Findings, in zenodo, 01.10.2024. Online: https://doi.org/10.5281/ZENODO.13827250, Stand: 26.11.2024.
Shaw, Philip; Phillips, Angus; Gutiérrez, Maria Bajo: Arts, Humanities and Social Sciences Monographs. A Report on Publishing Trends, Oxford International Centre for Publishing, Oxford 2021.
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