Die Schweiz setzt sich ein neues Open-Access-Ziel
“Bis 2024 sollte Wissenschaftliches Publizieren in der Schweiz OA sein, alle mit öffentlichen Geldern finanzierten wissenschaftlichen Publikationen müssen im Internet frei zugänglich sein.”1 Mit diesem hehren Ziel wurde im Januar 2017 die Nationale Open-Access-Strategie für die Schweiz verabschiedet. Sie wurde von swissuniversities (der Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen) mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) entwickelt. Nach acht Jahren vielfältiger und innovativer Open-Access-Aktivitäten ist es an der Zeit zurückzublicken: Konnten wir das übergeordnete Ziel erreichen?
Ein Blick auf die Zahlen sagt klar: Nein! Der Schweizer Open-Access-Monitor (ein zentrales Ergebnis aus der ersten Strategiephase) weist für wissenschaftliche Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 2023 einen Open-Access-Anteil von lediglich 71% aus. 2017 waren hingegen nur 49% aller Artikel frei zugänglich.2 Auch wenn man hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist eine positive Entwicklung sichtbar. Insbesondere wenn man die Vorgabe von 100% nicht zu sehr als realistischen Benchmark, sondern mehr als politisches Instrument zur Mobilisierung von Ressourcen und Aktivitäten in diesem Bereich interpretiert.
Die Revision der Strategie
Mit Blick auf das Ablaufen der Strategieperiode Ende des Jahres 2024 haben sich die Urheber*innen daran gemacht, das Dokument in einem partizipatorischen Prozess zu überarbeiten. Alle Schweizer Hochschulen konnten im Rahmen einer offenen Konsultation eine frühere Fassung des Strategiepapiers durchsehen und kommentieren. Eine redigierte Zusammenfassung und die Auswirkungen auf den finalen Text sind öffentlich einsehbar.3
Die revidierte Nationale Open-Access-Strategie für die Schweiz wurde im Juni 2024 veröffentlicht.4 Das Dokument baut auf Grundsätzen auf, welche in der ersten nationalen Strategie aufgestellt wurden: gemeinsam, kostenneutral und auf diversen Wegen ein offenes Publikationssystem schaffen. Es ist als kontinuierliche Fortsetzung zu sehen, welche zentrale Ergebnisse jüngster Projekte aufgreift und aktuelle Entwicklungen im Bereich Open Science berücksichtigt. Neu soll eine komplette Open-Access-Transformation in der Schweiz nun bis spätestens 2032 erfolgen.
Die neue Schweizer Vision
Die Vision der revidierten Strategie ist eine robuste Open-Access-Landschaft. Um dies zu erreichen, wurden sieben Leitprinzipien definiert. Auf deren Basis wiederum sind sechs Ziele ausgegeben, welche über sechs ineinandergreifende Wege erreicht werden können. Eine stark verschachtelte Strukturierung des Dokuments wie diese ist symptomatisch für die vielfältigen und mehrschichtigen Zielsetzungen der involvierten Akteur*innen. Inhaltlich geht es hierbei insbesondere um die Entwicklung und Koordination zentralisierter Infrastrukturen und Dienstleistungen (speziell für Diamond und Green Open Access), die Schaffung eines unterstützenden Rechtsrahmens (Zweitveröffentlichungsrecht, Beibehaltung von Urheberrechten) und die Etablierung einer Open-Access-Kultur in den Forschungsgemeinschaften als Standard wissenschaftlichen Arbeitens. Die konkrete Umsetzung der Strategie obliegt den sich selbst-verpflichtenden Institutionen im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und Kontexte – nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung, einer in der Schweiz besonders hochgehaltenen Tugend. Es wird weiterhin mehrfach betont, dass diese Ziele nur durch umfangreiche Kollaborationen zwischen Institutionen erreicht werden können.
Die neue strategische Ausrichtung läutet eine Phase der Konsolidierung ein, in der bewährte Ideen der letzten Jahre gebündelt und optimiert werden sollen. Dies bedeutet einen Perspektivenwechsel, indem stärker als zuvor akademische Institutionen und weniger individuelle Forschende in die Pflicht genommen werden, die gesetzten Ziele zu erreichen.
Definition von Open-Access-Publikation und Auswirkungen für Repositorien
Hervorzuheben ist die Definition einer Open-Access-Publikation, die in der Strategie verankert ist. Dokumente müssen in einem maschinenlesbaren Format, kostenlos, ohne Embargo und unter einer offenen Lizenz bereitgestellt werden.5 Dies hat eine hohe Relevanz für Repositorien, welche Publikationen über den Grünen Weg in vielen Fällen nicht unter Creative-Commons-Lizenzen bereitstellen (dürfen). Sperrfristen sind zudem weit verbreitet. Streng genommen gilt mit dieser ambitionierten Definition ein großer Teil der aktuell vorhandenen Zweitveröffentlichungen in Schweizer Repositorien nicht mehr als Open Access. Was bedeutet das für Repository Manager? In erster Linie viel Kommunikation: In vielen Fällen müssen individuelle Abklärungen mit Verlagen eingeleitet werden, weil generelle Policies keine Aussagen zu einer Verbreitung unter einer Creative-Commons-Lizenz machen – oder dies explizit verbieten. Es wird weitere Abstimmungen auch mit Publizierenden brauchen. Idealerweise behalten diese die Urheber- und Verwendungsrechte an ihrem akzeptierten Manuskript. Die Rights Retention Strategy6 unterstützt in diesem Bereich.
Berücksichtigung alternativer Publikationsformen
Klar ersichtlich und positiv herauszuheben ist ein verstärkter Fokus auf alternative Publikationsformen, abseits von wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln. Die Förderung von Open Access für Langformen (wie Bücher und Buchkapitel), Publikationen in den Künsten und in anwendungsorientierten Publikationsgefäßen (wie Fach- und Verbandszeitschriften) wird in der Strategie speziell adressiert. Der Nachholbedarf und das große Potential wurden erkannt. Auch nicht-kommerzielle Publikationswege wie Diamond Open Access und Institutional Publishing sind zentrale Handlungsfelder der Strategie. Bibliodiversität ist ein wichtiger Faktor für eine umfassende und stabile Open-Access-Landschaft. Aber auch ein stärkerer Bezug zu weitreichenden Entwicklungen im Bereich der Forschungsevaluation und Open Science über die klassischen Textpublikationen hinaus findet Erwähnung.
Die Aussichten: heiter bis wolkig oder doch nebelig?
In Diskussionen und der Formulierung der neuen Strategie fällt eine fehlende kritische Auseinandersetzung mit dem nicht-erreichten 100%-Ziel auf. Auf neuen Wegen soll es nun in acht weiteren Jahren erreicht werden. Diese Verschiebung verwässert die Botschaft und ist inkonsequent. Auch wenn neu quantitative und qualitative Indikatoren für die Zielerreichung definiert wurden und auf strategischer Ebene durch ein Gremium laufend beobachtet werden sollen, sind Erfolgskriterien wie bspw. Zufriedenheit der Forschenden mit ihren Veröffentlichungsoptionen schwer zu messen.7 Am Ende fehlt es auch an konkreten Konsequenzen, wenn das neue Open-Access-Ziel wieder nicht erreicht werden sollte.
Wie es Strategiepapiere oft an sich haben, bleiben viele Details in Bezug auf konkrete Umsetzungen vage. Der Grundton der neuen Open-Access-Strategie kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Alles ist möglich, nichts wird ausgeschlossen. Konkrete Zielrichtungen werden an einer anderen Stelle zu finden sein. Zum Jahreswechsel wird swissuniversities die ersten Ausschreibungen für neue Open-Access-Projekte veröffentlichen.8 Die Förderentscheidungen zeigen dann eine Tendenz und füllen die Strategie mit Leben. Die Schweizer Institutionen blicken daher gespannt in die Zukunft, insbesondere angesichts der jüngst angekündigten radikalen Kürzungen für das gesamte Open-Science-Programm als Folge der Sparmaßnahmen für den Schweizer Bundeshaushalt.9
Dieser Beitrag kommt nicht ohne die abschließende Anmerkung der ironischen Tatsache aus, dass die Nationale Open-Access-Strategie für die Schweiz nach eigener Definition selbst keine Open-Access-Publikation unter einer offenen Lizenz ist. Please – practice what you preach!
Autor: Nicolai Hauf,
mit wertvoller Unterstützung durch das Open-Access-Team der ZHAW Hochschulbibliothek.
1 Nationale Open-Access-Strategie für die Schweiz (2017): https://www.swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Hochschulpolitik/Open_Access/Open_Access__strategy_final_DE.pdf
2 Journal Monitor (OAM-CH) des Schweizer Open-Access-Monitors: https://oam.oamonitor.ch/open-access/-2025566562
3 Swiss National Open Access Strategy. Results of the Consultation:
https://www.swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Hochschulpolitik/Open_Access/OA-Strategy-Review-Consultation-Report.pdf
4 Swiss National Open Access Strategy. Revised in 2024:
https://www.swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Hochschulpolitik/Open_Access/Swiss-National-Open-Access-Strategy-2024-en.pdf
5 Swiss National Open Access Strategy. Revised in 2024, S. 11
6 Rights Retention Strategy: https://www.coalition-s.org/resources/rights-retention-strategy/
7 Swiss National Open Access Strategy. Revised in 2024, S. 20 f.
8 https://www.swissuniversities.ch/themen/open-science/programm-open-science/ausschreibungen
9 Siehe https://www.swissuniversities.ch/themen/open-science/programm-open-science und https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-102538.html
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