Open Access in den Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien
Die Nahost-, Mittelost-, Nordafrika- und Islamstudien, auch Wissenschaften mit Bezug zur MENA-Region (Middle East and North Africa) oder früher Orientalistik genannt, umfassen eine Reihe von philologisch, religions-, kultur- sowie regionalwissenschaftlich ausgerichteten Disziplinen (u. a. Arabistik, Islamwissenschaft, Iranistik, Turkologie). Diese Disziplinen gehören zusammen mit anderen “kleinen Fächern” der Fachgruppe “Außereuropäische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften” an. Darüber hinaus gibt es an einzelnen Standorten auch Fachbereiche, die sich auf Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft der MENA-Region fokussieren.
Die Ausrichtung der jeweiligen Fachdisziplinen stellt sich je nach Standort und Ausstattung unterschiedlich dar, wobei das inter- und transdisziplinäre Arbeiten ein Hauptmerkmal vieler Fachkulturen ist. Diese Vielfalt spiegelt sich in einer heterogenen Publikationslandschaft wider. Für geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen üblich, wird vorherrschend in Zeitschriften und Büchern publiziert, die entweder thematisch, regional oder chronologisch ausgerichtet sind. Daneben existieren die eher generalistisch angelegten Periodika nationaler und internationaler Fachgesellschaften (bspw. die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft ZDMG, die aus einem retro-digitalisierten Bestand besteht und seit 2016 hybrid Open Access über den Verlag Harrassowitz publiziert).
Zentrale Fachgesellschaften sind die Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG), die Deutsche Orient-Gesellschaft, die European Association for Modern Arabic Literature (EURAMAL), die Association for Iranian Studies (AIS), die Societas Iranologica Europaea (SIE), die Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient (DAVO), Deutsche Orient-Stiftung, Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft e.V. (DVWR) sowie die Royal Asiatic Society.
In den Wissenschaften mit Bezug zur MENA-Region ist die Publikationskultur weiterhin von der gedruckten Publikation und der Verlagspublikation geprägt. Bei elektronischen Publikationen wird häufig auf das Dateiformat PDF gesetzt, um die gedruckte Veröffentlichung nachzuempfinden (inkl. Seitenzahl und Layout). Zudem wird die wissenschaftliche Reputation ähnlich wie in anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen über Publikationsorte und Herausgeber*innenschaften produziert.
Es wird häufig auch dann bei renommierten, traditionsreichen Verlagen publiziert, wenn deren Angebote keine Open-Access-Option beinhalten bzw. diese nicht finanzierbar ist.
Open-Access-Zeitschriften
Es gibt bisher nur wenige etablierte Zeitschriften, die vollständig im Open Access erscheinen, beispielsweise die Acta Orientalia, das Journal of Arabic and Islamic Studies oder Aethiopica. Diese Zeitschriften werden häufig von Wissenschaftler*innen an Forschungseinrichtungen (z. B. Middle East : Topics & Arguments am Centrum für Nah- und Mitteloststudien in Marburg, 2020 leider eingestellt) herausgegeben. Hervorzuheben ist jedoch, dass es im Mittleren Osten und Asien ein breiteres Angebot an meist universitären Open-Access-Zeitschriften gibt, die auch im DOAJ gelistet sind. Zudem zeigen Open-Access-Zeitschriften, welche die Open-Source-Software Open Journal Systems (OJS) nutzen, eine weitaus höhere Sprachdiversität als bspw. die in der kostenpflichtigen Datenbank Scopus gelisteten Artikel (vgl. Khanna et al. 2022, Fig. 6). Die Hegemonie der englischen Sprache wird heute auch unter Aspekten der Bibliodiversität in Frage gestellt. Diese Herausforderung stellt für Wissenschaften mit Bezug zur MENA-Region einen wichtigen Aspekt der Dekolonisierung von Wissen und Wissenschaft dar (vgl. Berger 2021). Aber auch die Dekolonisierung von Open Access spielt dabei eine Rolle, da offene Wissenschaft und einige der angewandten Geschäftsmodelle zu neuen globalen Hierarchien und Ungleichheiten führen (vgl. Piron 2018). Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum veröffentlichen aber weiterhin überwiegend in Zeitschriften, bei denen nur vereinzelte Beiträge oder Bände im Open Access zugänglich sind.
Außer in den einschlägigen Fachzeitschriften werden auch viele Artikel mit Bezug zur MENA-Region in Zeitschriften veröffentlicht, deren thematischer Fokus anders gesetzt ist (z. B. Mittelalter, Philosophie, Medizin, Recht, Soziologie, Politik, u. a.).
Video zur Finanzierung von Open-Access-Artikeln
Open-Access-Bücher
Bei Monografien und Sammelbänden ist der Anteil der Open-Access-Publikationen höher als bei Zeitschriftenartikeln. Das Directory of Open Access Books (DOAB) listet unter dem Stichwort “Middle East” 556 Publikationen (Stand: April 2024). Der größte Teil dieser Publikationen wird durch Taylor & Francis (insg. 47) und MDPI - Multidisciplinary Digital Publishing Institute (insg. 22) veröffentlicht. Open-Access-Bücher werden bevorzugt bei etablierten Verlagen veröffentlicht, doch haben die Verlage erfolgreich Modelle für die Open-Access-Publikation von Reihen und Einzelbänden etabliert. Ein Grund für eine größere Verbreitung von Open Access bei Monografien und Konferenzbänden mag darin begründet liegen, dass Forscher*innen zunehmend dazu verpflichtet werden, die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung und Tagungen im Open Access zugänglich zu machen. Das Team hinter dem Blog Access to Mideast and Islamic Resources (AMIR) stellt Informationen über frei zugängliches Material über die MENA-Region zur Verfügung, u. a. auch neue Open Access veröffentlichte Bücher.
Manuskripte und Kulturdaten
Ein wichtiger Teil der Forschung ist textbasiert, weshalb besonders Methoden der Digital Humanities von Bedeutung für Wissenschaften mit Bezug zur MENA-Region sind. Die Digitalisate von textbasierten Quellen können als Objekte mit technischen oder kontextuellen Metadaten ergänzt und unter Open-Access-Lizenzen veröffentlicht werden. Die Öffnung von Forschung geschieht hier u. a. durch die Digitalisierung von Manuskripten und Periodika, siehe bspw. Jara'id: A Chronology of Arabic Periodicals (1800-1929). Regional weit voneinander entfernt gelagerte Materialien können so auf unterschiedliche Weise zusammengeführt und unter offenen Lizenzen nachnutzbar publiziert werden. Wichtige Netzwerke sind das Islamicate Digital Humanities Network (IDHN) und die Open Islamicate Texts Initiative (OpenITI).
Disziplinäre Repositorien
Der Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien bietet mit MENAdoc dem gesamten Fächerspektrum ein Open-Access-Repositorium an. MENAdoc bietet Open Access Grün zu Sammelbänden, Monographien und Einzelartikeln. Dabei werden in Kooperation mit Institutionen und Verlagen teilweise ganze Reihen im Open Access zugänglich gemacht (z. B. mit den Orient-Instituten Istanbul und Beirut). Teilweise erscheinen monographische Reihen auf MENAdoc im Diamond Open Access, z. B. MECAM-Papers oder die “Diskussionspapiere — Wirtschaft, Gesellschaft und Geographie im Vorderen Orient”. Je nach Schwerpunkt der Publikationen werden Forschungsergebnisse auf verschiedenen Fachrepositorien veröffentlicht, u. a. Medienwissenschaft, Soziologie etc.
Video über das Zeitveröffentlichungsrecht
Praxistipp
Sonstige Angebote
- Arabic Collections Online (ACO) ist eine öffentlich zugängliche digitale Bibliothek mit gemeinfreien Inhalten in arabischer Sprache.
- Arabic and Middle Eastern Electronic Library (AMEEL) ist ein webbasiertes Portal und eine digitale Sammlung von Informationen zum Studium des Nahen Ostens, einschließlich seiner Geschichte, Kultur, Entwicklung und Gegenwart.
- Das Digital Assets Repository (DAR) ist ein an der Bibliotheca Alexandrina entwickeltes System zur Erstellung und Pflege der digitalen Sammlungen der Bibliothek, dazu gehören gemeinfreie digitalisierte Bücher.
- Die Hindawi Foundation ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in England, die Arabisch sprachige Bücher und Übersetzungen frei zugänglich publiziert, ohne Open Access Lizenz.
- Die Qatar Digital Library ist ein wachsendes Archiv und deckt die moderne Geschichte und Kultur des Golfs und der weiteren Region ab. Sie enthält Archive, Karten, Manuskripte, Tonaufnahmen, Fotos und vieles mehr, komplett mit kontextbezogenen Erläuterungen und Links, sowohl auf Englisch als auch auf Arabisch. Die Objekte können kostenlos genutzt und weiterverwendet werden.
- Es gibt Bemühungen, Masterarbeiten und Dissertationen elektronisch zu archivieren und zugänglich zu machen, u. a. durch das Egyptian Universities Libraries Consortium.
- Qalamos bietet einen direkten Zugang zu Metadaten und Digitalisaten orientalischer Handschriftensammlungen in Deutschland. Angestrebt ist der möglichst vollständige Nachweis der in deutschen Gedächtnisinstitutionen bewahrten orientalischen Bestände und ihrer Digitalisate.
- Zudem gibt es die Online-Datenbank des Museums für Islamische Kunst Berlin, in der Informationen zu Objekten und Werken verfügbar sind. Diese ist Teil des Online Portals “Islamic·Art” mit weiteren Open Access lizenzierten Materialien.
- Middle Eastern and North African Newspapers ist eine Open-Access-Sammlung, die vom Center for Research Libraries gefördert wird.
Literatur
- Berger, M. (2021). Bibliodiversity at the Centre: Decolonizing Open Access. Development and Change 52(2), 383–404. https://doi.org/10.1111/dech.12634.
- Khanna, S., Ball, J., Alperin, J. P., & Willinsky, J. (2022). Recalibrating the scope of scholarly publishing: A modest step in a vast decolonization process. Quantitative Science Studies 3(4), 912–30. https://doi.org/10.1162/qss_a_00228.
- Piron, F. (2018). Postcolonial Open Access. In U. Herb & J. Schöpfel (Eds.), Open divide: critical studies on open access. Library Juice Press. https://corpus.ulaval.ca/entities/publication/2f42da75-af39-46b1-8ce1-f48ff76c059e
Weiterführende Literatur
- Augustin, L. M. (2016, 01st September). Open Access publishing in and about the Middle East and North Africa: prospects and challenges. TRANSREGIONAL ACADEMIES. https://academies.hypotheses.org/1954.
- Cross, C., Romanov, M., & Miller, M. T. (2023, 11th July). About Islamicate Digital Humanities. http://islamicate-dh.github.io/about/.
- Hanafi, S., & Rigas, A. (2015). Knowledge Production in the Arab World: The Impossible Promise. Taylor & Francis Ltd.
Bearbeitung der Inhalte dieser Seite: Josef Peter Jeschke (FID Nahost) und Maike Neufend (Stand: September 2023).